Regulationsstörungen beim Säugling und Kleinkind
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie herausfordernd ein neuer Mitbewohner sein kann. Gerdade dann, wenn es sich um einen Wächter handelt. In der Japanischen Merdiantherapie bzw. dem Shonishin, der Kinderheilkunde, gibt es die Bezeichnung Kanmushisho. Ich glaube, das ist damit gemeint.
Auch wenn die anfänglichen Bedürfnisse noch sehr einfach zu durchschauen sind, kommt es zu immer wiederkehrenden Irritationen. Das Kind lernt dabei mit ihm unbekannten Reizen umzugehen. Bei diesem Prozess nehmen die Mutter und später auch der Vater wichtige Rollen ein, indem sie den Reiz für das Kind aufnehmen und in eine für das Kind verständliche „Sprache“ zurückgeben.
Wichtige Entwicklungsschritte werden durchlaufen, dabei folgt das Kind zunächst einem vorgegebenen Programm. Bis es eineinhalb Jahre ist, werden diese Module von allen heranwachsenden Menschen mehr oder weniger ähnlich ausgeprägt in der immer gleichen Art durchlaufen.
In der Sonderpädagogik weiß man um den Umstand, dass wesentliche Lernerfolge sich eher in einem sicheren und harmonischen Umfeld einstellen. Und dass es Zeitfenster gibt, in denen ein bestimmtes Modul Hauptthema ist und dann auch durchlaufen werden sollte. Nachholen ist möglich, wird aber mit zunehmender Komplexität stets schwieriger. Bis es schließlich unmöglich wird, versäumte Schritte aufzuholen.
Ich erinnere mich an einen Jungen, der einen für sein Alter unsicheren Stand zeigte. Eine Befreiung des Kreuzbeins hatte zur Folge, dass der Junge die nächsten Tage – wie von unsichtbarer Hand angetrieben – sehr viel zu krabbeln begann, wie mir die Mutter wohlwollend berichtete. Er holte dabei selbst den fehlenden Zwischenschritt nach und so verbesserte sich schließlich sein Stand.
Die Geschichten „Genie“s, eines sogenannten Wolfskinds und das Ergebnis des Kaspar-Hauser-Versuchs sollen aber nochmal unterstreichen, dass auch irreversible Schädigungen vorliegen können. Und auch hier zeigt sich, dass das Mitgefühl eine zentrale Rolle spielt, das bei dem System des Jungen völlig intakt war.
Soziale Verbindung (Social Engagement System)
Soziales Verhalten wird durch das körperlich weitverzweigte Netz der (parasympathischen) Vagusnerven begünstigt. Im Kopfbereich interagiert der Vagusnerv mit anderen sog. Kranialnerven (cranium = Schädel). Zusammen bilden sie eine „neuronale Plattform“, hier werden die sozial wirksamen Gesichtsorgane (Augen, Ohren, mimische Muskeln, Stimmorgan, Kau- Saug- und Schluckorgane, Kopfneiger) mit dem Körper “verdrahtet“.
Polyvagaltheorie
In der Polyvagaltheorie scheinen sich Erklärungen diesbezüglich zu finden, deshalb wird sie in der Osteopathie gerne verwendet. Sie im Detail zu erklären würde den Rahmen des Artikels sprengen. Im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass im stammesgeschichtlich ältesten Teil des Nervensystems ebenfalls neue Fasertypen aktiv sind und dass ihm sowohl eine lähmende als auch eine regenerierende Funktion zugeschrieben werden kann.
Kritik
Die Kritiker der PVT stören sich daran, dass der zentrale Vaguskomplex auf alle branchiomotorischen Kerne ausgedehnt wird. Vielleicht wäre es besser, ihnen ihre Eigenständigkeit zu belassen und stattdessen darauf hinzuweisen, dass ihre Koordination durch ein Netzwerk von Hirnstammneuronen synchronisiert wird.
Torsten Liem zufolge sollte das Konzept des Social Engagements um den N. hypoglossus, der zwar kein branchiomotorischer Nerv ist, doch die sozial wichtige Zungenmuskulatur innerviert, erweitert werden.
Osteopathie
Der Osteopath hat gerade bei Anpassungsstörungen die Aufgabe, die Eltern auf die permanente Spiegelneuronaktivität aufmerksam zu machen. Auch das Handling und das Verständnis eines jeden neuen Entwicklungsschritts spielen eine große Rolle beim Containen der für das Kind unbekannten Impulse, die jeden Tag neu auf das Neugeborene einprasseln. In einem erfolgreichen therapeutischen Setting sind Osteopath und Eltern gefragt. Dabei obliegt es dem Osteopathen den körperlichen Stress – z. B. durch blockierte Kopfgelenke oder eine verschobene Körperachse – zu korrigieren und die Eltern auf ihre Aufgabe einzustimmen.
Vielleicht hilft die PVT zu verstehen, dass es Mitgefühl bedarf um eine entspannte Lernumgebung zu schaffen. Ich denke, dass diese Theorie – so wie andere auch – als Möglichkeit verstanden werden sollte, die Realität zu begreifen und nicht als unumstößliches Axiom.
Ein Setting aus Hebammen, Pädagogen, Psychologen, Osteopathen, Physio- oder Ergotherapeuten könnte Screeningmethoden entwickeln, die in Rücksprache mit dem Arzt darauf abzielen, geeignete Maßnahmen zum Wohle eines betroffenen Kindes herauszufiltern.
Das Beitragsbild hat die Stock-Datei-ID 520040651: www.istockphoto.com/foto/gestresste-mutter-und-ihr-baby-gm520040651-50060380
Zuletzt bearbeitet am 27. Mai 2024 um 20:29 Uhr.
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