Sushumna Nadi

Die „Axis Mundi“ des Körpers

Dieser Text ist größtenteils inspiriert durch Elizabeth Reningers Artikel Sushumna Nadi – Chong Mai (taoism.about.com/od/Taoist_Retreat_Experiences/a/Sushumna-Nadi-Chong-Mai.htm, abgerufen 10.03.13).

Der Sushumna Nadi, die Weltachse des Körpers – im Taoistischen System auch als Chong Mai bzw. Durchdringungsgefäß bekannt – ist wahrscheinlich das wichtigste der Acht Außergewöhnlichen Gefäße, die gemeinsam das nachgeburtliche Meridiansystem formen.

Der Sushumna / Chong verläuft ein wenig vor der Wirbelsäule, vom Beckenboden zum Scheitelpunkt. [Anm.: In manchen klassischen Texten wird der Verlauf des Chongs unterschiedlich beschrieben.]


Abb. Torus

Der Sushumna bzw. Chong nimmt in der energetischen Matrix, innerhalb derer der leibliche Körper erscheint, die Mitte eines Torus artigen Energiekörpers ein. Er umschließt den physischen Leib, wie das Ei das Küken oder die Gebärmutter den Embryo. Der aufwärtsgerichtete fontänenartige Energiestrom des Sushumnas öffnet sich im Scheitel des Kopfes (wie ein „tausendblütiger Lotus“) – bevor er (in einem 360°-Bogen) hinabfällt um sich mit seiner Wurzel (dem Beckenboden) wiederzuvereinigen. Dort beginnt der Zyklus von vorn.

Während die zwölf Hauptmeridiane Kanäle sind, in denen die Lebensenergie (qi/Ki) zirkuliert, welches mit unserer alltäglichen dualistischen Raum-Zeiterfahrung assoziiert wird, transportiert der Sushumna Nadi nichtduale Energie unseres vorgeburtlichen Bewusstseins: eine raffinierte, gereinigte, pränatale Form des qi.

In der tibetisch-yogischen Tradition wird das Licht oder die Energie, die durch den zentralen Kanal fließt, „Atem der Weisheit“ genannt. Es wird vermutet, dass dieses Licht mit den sehr subtilen Geistformen (welche in der Lage sind, das Raum-Zeitkontinuum zu überwinden und weder dual noch konzeptuell sind) korrespondiert.

Zitat von Elizabeth Reninger (taoism.about.com/b/2012/03/01/analog.htm, abgerufen 10.03.13): „Die dritte Ebene des Geistes wird die außergewöhnliche Ebene genannt – die entwicklungsgeschichtlich bereits vor der körperlichen Raum-Zeit-Matrix existierte. Innerhalb dieser sehr subtilen Schicht – und das kann in der Meditation wahrgenommen werden – sind die verschiedenen karmischen Tendenzen, sog. „Samen“ – die die tiefste Ebene der „transpersonalen“ Konditionierung ausmachen – angelegt. Sie werden mit der „Geburt“ in ein bestimmtes Raum-Zeit-Gefüge transportiert.“

(Einige behaupten, dass dieser „sehr subtile Geist“ – und die dazugehörige „Energie“ des Sushumna Nadi – eine energetische Entsprechung dessen sei, was in der westlichen Wissenschaft als „genetische Prägung“ bezeichnet wird.)

In der taoistischen Yoga-Praxis (Qigong, Taiji usw.) sollte der Sushumna Nadi bzw. der Chong Mai besser als Pforte anstatt als Ziel betrachtet werden. Sich des [eigenen] Flusses im „Zentralkanal“ gewahr zu werden kann ein Mittel zur Überwindung jeglicher dualistischer Identifikation sein, einschließlich der Identifikation mit einem bestimmten physischen Körper, innerhalb eines spezifischen Abschnitts im Raum-Zeit-Kontinuum! Aber das „funktioniert“ nur, wenn wir irgendwann – nachdem die Vorstellungsbarrieren ihren Zweck erfüllt haben – die Idee von einem „Zentralkanal“ innerhalb unseres Körpers auflösen können. Ansonsten wird der Sushumana Nadi einfach zu einer subtilen Verdinglichung unseres Selbstbildes; er entwickelt sich dann zu einer separaten, permanenten „Form“.

Thinley Norbu, in White Sail, schreibt dazu: „Der Atem der Weisheit wird nicht begrenzt durch körperliche Form, aber da die Energie der Praktizierenden karmisch geprägt ist und sie selbst an Formen gewöhnt sind, stellt man sich den Zentralkanal im Allgemeinen als Pfeilschaft vor.“

Also: Erarbeiten wir uns zunächst das Bild des „Zentralkanals“ inmitten unseres physischen Leibs (der ebenfalls „projiziert“ ist). Da es zwischen den Eigenschaften des subtilen Körpers und denen des Nervensystems einen Zusammenhang gibt, ist dies ein geeignetes Mittel, um nichtduales Bewusstsein zu erwecken.

Zitat von Elizabeth Reninger (taoism.about.com/od/Taoist_Retreat_Experiences/a/Sushumna-Nadi-Chong-Mai.htm, abgerufen 10.03.13): „Sobald die Visualisierung ihren Zweck erfüllt hat, findet die Übung schließlich ihre Vollendung in der Auflösung des vorgestellten „Zentralkanals“ und der „physischen Form“ – welche als erste Bezugspunkte dienten. Sie hinterlässt uns das gesamte, auf unseren „Köper“ projizierte „Universum“. Alle Erscheinungen entstehen durch uns, im Verständnis dessen, wer wir sind; sie sind nicht getrennt durch „selbst“ und „andere“. Solche Kategorien wiederum sind nur durch die physische Form bedingt sind.

Und dann kehrt die Trennung (in das Scheinbare „selbst“ und das „andere“) wieder zurück – aber in einer mehr transparenten, spielerischen Weise: als Tanz der immerfort währenden Umwandlung von Yin und Yang, von diesem zu jenem … Vielleicht ist es einfach ein Spiel, eine Art kosmisches Theater; um alles leichter nehmen zu können …“

Zuletzt bearbeitet am 30. Dezember 2021 um 6:31 Uhr.

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